2 Kinderrechte, Kindeswohl und rechtebasierte Pädagogik in der Schulpraxis

Hinweis

Die Kapitel enthalten Kommentare und Exkurse sowie Übungsaufgaben und Fragen zur Prüfungsvorbereitung.

  • Mithilfe der Kommentare erläutern wir Ihnen die Fachinhalte und beziehen diese auf die Schulpraxis.
  • Die Exkurse bieten wir Ihnen als optionale Vertiefung an.
  • Die Übungsaufgaben bestehen aus unterschiedlichen Formaten: z. B. Single-Choice-Fragen, Zuordnungsaufgaben, Fallbeispiele, etc. Mit den Übungsaufgaben fokussieren wir auf zentrale Inhalte, um diese besser erarbeiten zu können.
  • Die Fragen zur Prüfungsvorbereitungen helfen Ihnen, um die zentralen Inhalte für die Prüfung vorzubereiten.

Kommentar

Welche Kinderrechte fallen Ihnen spontan ein?

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken.

Kommen Sie auf drei, fünf oder noch mehr?

Was ein Kinderrecht ist, wie viele es gibt und ob man sie überhaupt so einfach zählen kann, werden wir gemeinsam klären. Und darüber hinaus widmen wir uns der zentralen Fragestellung:

Warum sollten Sie sich mit den Kinderrechten, dem Kindeswohl und der rechtebasierten Pädagogik als Lehrkraft auskennen?

In diesem Kapitel setzen Sie sich mit der Entwicklung der Kinderrechte und ihrer Bedeutung für die rechtebasierte Pädagogik in der Schulpraxis auseinander. Die Inhalte werden entlang der 4 allgemeinen Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention strukturiert:

  1. Nichtdiskriminierung
  2. Vorrang des Kindeswohls
  3. Recht auf Leben
  4. Recht auf Beteiligung 

Sie werden rechtliche Grundlagen für Ihre Arbeit in der Schule kennenlernen und Anwendungsbeispiele aus der Schulpraxis dazu in Beziehung setzen. 

Folgende kompetenzorientierte Lernziele können Sie mit der Bearbeitung dieses Kapitels erreichen:

  • Sie werden in der Lage sein, Gesetzesgrundlagen zum allgemeinen Prinzip der Nichtdiskriminierung aus dem Grundgesetz und Bundes- und Landesgesetzen zu benennen.
  • Sie werden in der Lage sein, die Begriffe sozio-ökonomischer Status sowie die mittelbare und unmittelbare Diskriminierung zu definieren.
  • Sie werden in der Lage sein, die schützenswerten Merkmale der Persönlichkeit, auf die sich Diskriminierung beziehen kann, zu benennen.
  • Sie werden in der Lage sein, Fallbeispiele mithilfe Ihres Fachwissens zum Recht auf Gleichheit und zur Diskriminierung, zu erläutern.
  • Sie werden in der Lage sein, Ihren Bildungsauftrag im NSchG zu verorten.
  • Sie werden in der Lage sein, die mit der interindividuellen Variabilität der kindlichen Entwicklung verbundenen Herausforderungen für Ihr pädagogisches Handeln zu beschreiben.
  • Sie werden in der Lage sein, die mit der Gehirnentwicklung in der Pubertät verbundenen Herausforderungen für Ihr pädagogisches Handeln zu reflektieren.
  • Sie werden in der Lage sein, Ihre Rechte und Pflichten als Lehrkraft aus dem KKG in Bezug auf das Bekanntwerden von gewichtigen Anhaltspunkten für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen zu benennen.
  • Sie werden in der Lage sein, die Entwicklung des Rechts auf Schutz vor Gewalt in der Schule und in der Familie in Deutschland zeitlich einzuordnen.
  • Sie werden in der Lage sein, die funktionale von der rechtebasierten Partizipation zu unterscheiden.
  • Sie werden Kriterien für die Gestaltung von Partizipation benennen können.

Erste Entwicklungstendenzen von Kinderrechten lassen sich in der französischen Revolution (1789) und der Unabhängigkeitserklärung der USA (1794) verorten. Diese Ereignisse führen dazu, dass Menschenrechte und erste Überlegungen zu einer Differenzierung von Kinderrechten Teil des gesellschaftlichen Diskurses werden (vgl. Deutsches Komitee für UNICEF e.V. (o. J.)).

Bis zum Gleichheitsgrundsatz und dem Diskriminierungsschutz, wie er in heutigen, demokratischen Gesellschaften angestrebt wird, vergehen mehrere Jahrhunderte. Im Jahr 1989 wird schließlich die Kinderrechtskonvention von den Vereinten Nationen (UN-KRK) am 20. November verabschiedet. Die UN-KRK ist 1992 von Deutschland und mittlerweile von fast allen Ländern ratifiziert worden. Damit müssen die 54 Artikel der UN-KRK in Bundes- und Landesgesetze überführt werden. In der Realität ist das jedoch noch nicht flächendeckend der Fall. Dennoch lassen sich bereits weltweite Erfolge der UN-KRK darstellen: „Die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag sterben, ist seit 1990 von über 12 Millionen auf rund 5 Millionen gesunken, unter anderem aufgrund besserer medizinischer Versorgung. Der Anteil der arbeitenden Kinder ging um ein Drittel zurück.“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2019).

Kommentar

Erproben Sie mit dem folgenden Quiz der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) , welches Vorwissen Sie zu den Kinderrechten bereits besitzen und erfahren Sie neue Details:

https://www.bpb.de/kurz-knapp/taegliche-dosis-politik/542845/quiz-zum-tag-der-kinderrechte

Exkurs: Geschichte der Kinderrechte

Vertiefend können Sie sich in die Geschichte der Kinderrechte unter folgendem Link des Deutschen Kinderhilfswerks (a) einlesen: https://www.kinderrechte.de/kinderrechte/geschichte-der-kinderrechte

Bis heute ist Bildungsgerechtigkeit ein gesellschaftliches Ziel, das noch nicht hinreichend erreicht worden ist. Im Kontext der deutschen Schulbildung sind seit Jahrzehnten Bildungsungerechtigkeiten belegt (z. B. durch die PISA-Studien), die Kinder aus Familien mit geringem sozio-ökonomischem Status benachteiligen. Dieser Status bemisst sich i. d. R. am Einkommen, dem Beruf und dem Bildungsgrad der Eltern. Konkret bedeutet dies u. a., dass Akademiker:innen-Kinder häufiger das Gymnasium besuchen als Nicht-Akademiker:innen-Kinder (vgl. Dumont, Maaz, Neumann & Becker 2014).

Die PISA-Ergebnisse von 2022 verdeutlichen, dass es z. B. in Ländern wie Kanada und Estland möglich ist, ein hohes Leistungsniveau in der Schulbildung zu erreichen und gleichzeitig Bildungsungerechtigkeiten in Form von Leistungsunterschieden der Kinder, die durch den sozio-ökonomische Status der Familien begründet sind, zu reduzieren. Deutschland erreicht zwar ein ähnliches Leistungsniveau, aber bei einer deutlich stärkeren Abhängigkeit des individuellen Bildungerfolgs der Kinder von der sozialen Herkunft, die mithilfe des sozio-ökonomischem Status beschrieben werden kann (vgl. Edelstein 2024)

Wissen anwenden: sozio-ökonomischer Status

Kommentar

Im Vorlesungsthema Heterogenität und Bildungserfolg werden wir auf den sozio-ökonomischen Status genauer eingehen und mit Ihnen erarbeiten, inwiefern er uns Erkenntnisse über Bildungsungerechtigkeiten ermöglicht, z. B. im Hinblick auf die Verteilung der Kinder auf die unterschiedlichen Schulformen.

Die Formulierung der UN-Kinderrechtskonvention basiert auf der Forderung, das Gleichheit und Gerechtigkeit für Kinder in besonderem Maße zum Ausdruck gebracht werden müssen, weil es die kindliche Entwicklung Kindern nicht immer ermöglicht, vollumfänglich für ihre Rechte einzustehen. Oft werden die 54 Artikel der UN-KRK zu zehn Kinderrechten zusammengefasst. Dies dient der besseren Kommunizierbarkeit. Die folgende Darstellung stammt vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung und verweist bei jedem der zehn Kinderrechte auf die zugrunde liegenden Artikel der UN-KRK. 

Kommentar

Insofern können wir schon festhalten, dass mithilfe von 54 Artikeln die Kinderrechte verfasst worden sind. Um sie zu kommunizieren, werden diese häufig zu 10 zentralen Aspekten zusammengefasst.

  1. Gleichheit:
    Alle Kinder haben die gleichen Rechte. Kein Kind darf benachteiligt werden.
    Artikel 2
  2. Gesundheit
    Kinder haben das Recht gesund zu leben, Geborgenheit zu finden und keine Not zu leiden.
    Artikel 24
  3. Bildung
    Kinder haben das Recht zu lernen und eine Ausbildung zu machen, die ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten entspricht.
    Artikel 28
  4. Spiel und Freizeit
    Kinder haben das Recht zu spielen, sich zu erholen und künstlerisch tätig zu sein.
    Artikel 31
  5. Freie Meinungsäußerung und Beteiligung
    Kinder haben das Recht bei allen Fragen, die sie betreffen, mitzubestimmen und zu sagen, was sie denken.
    Artikel 12 und 13
  6. Schutz vor Gewalt
    Kinder haben das Recht auf Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung.
    Artikel 19, 32 und 34
  7. Zugang zu Medien
    Kinder haben das Recht sich alle Informationen zu beschaffen, die sie brauchen, und ihre eigene Meinung zu verbreiten.
    Artikel 17
  8. Schutz der Privatsphäre und Würde
    Kinder haben das Recht, dass ihr Privatleben und ihre Würde geachtet werden.
    Artikel 16
  9. Schutz im Krieg und auf der Flucht
    Kinder haben das Recht im Krieg und auf der Flucht besonders geschützt zu werden.
    Artikel 22 und 38
  10. Besondere Fürsorge und Förderung bei Behinderung
    Behinderte Kinder haben das Recht auf besondere Fürsorge und Förderung, damit sie aktiv am Leben teilnehmen können.
    Artikel 23″ (Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung o. J.)

Exkurs: 54 Artikel der UN-KRK

Vertiefend können Sie sich in die 54 Artikel der UN-KRK unter folgendem Link des Deutschen Kinderhilfswerks (c) einlesen:

https://www.kinderrechte.de/kinderrechte/un-kinderrechtskonvention-im-wortlaut#c3233//

Kommentar

Um den Rahmen, in dem Sie als Lehrkraft handeln werden, besser kennenzulernen, werden wir einige Rechtsvorschriften thematisieren, da Sie als Lehrkraft verpflichtet sind, die gesetzlichen Vorschriften zu kennen, die die Ausübung Ihres öffentlichen Amtes betreffen. Die Kultusministerkonferenz regelt die Vermittlung dieser Kompetenzen in den Standards für die Lehrer-Bildung Bildungswissenschaft unter anderem im Kompetenzbereich Innovieren. Diese Standards sind vergleichbar mit den Kerncurricula Ihrer Schulfächer.
Dort heißt es: „Lehrkräfte sind sich der besonderen Anforderungen des Lehrerberufs bewusst und beziehen gesellschaftliche, kulturelle und technologische Entwicklungen in ihr Handeln ein. Sie verstehen ihren Beruf als ein öffentliches Amt mit besonderer Verantwortung und Verpflichtung. […] Die Absolvent:innen kennen  die rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit (insbesondere Grundgesetz, Schulgesetze, Menschenrechtskonventionen, schulrelevantes Datenschutz- sowie Medienrecht) und wenden diese reflektiert an.“ (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2019)

Die UN-KRK gehört wie auch die UN-Behindertenrechtskonvention zu den Menschenrechtskonventionen. Wir werden uns im Folgenden auf die vier allgemeinen Prinzipien (general prinicipals) der UN-KRK (vgl. Deutsches Kinderhilfswerk (a) o. J.) beziehen:
Neben dem Allgemeinen Prinzip der

  1. Nichtdiskriminierung (Artikel 2)
    sind drei weitere general priniciples definiert worden:
  2. Vorrang des Kindeswohls (Artikel 3 Absatz 1)
  3. Recht auf Leben und Ent­wick­lung (Artikel 6)
  4. Recht auf Beteiligung (Artikel 12)

Da Sie sich im Folgenden mit unterschiedlichen Gesetzen im Kontext der UN-Kinderrechtskonvention auseinandersetzen werden, stellen wir Ihnen vorab einen Auszug aus dem Kinder-Sachbuch „Hier wird Politik gemacht!“ (Paluch & Marian 2024) zu zentrale Begriffen wie Grundgesetz, Verfassung, Grundrechte und Menschenrechte vor. Dieses Material, können Sie zur Demokratie- und Menschenrechtsbildung in der Grundschule und der Sekundarstufe 1 einsetzen:

Paluch & Marian (2024)

Literatur

Dumont, Hanna; Maaz, Kai; Neumann, Marko, & Becker, Michael (2014). Soziale Ungleichheiten beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I. Theorie, Forschungsstand, Interventions- und Fördermöglichkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 17 Suppl. 24, 141-165.

Edelstein, Benjamin (2024). PISA 2022: Wie Leistungsniveau und Chancengleichheit in Schulsystemen zusammenhängen. Bonn: bpb.
abrufbar unter: https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/543509/pisa-2022-wie-leistungsniveau-und-chancengleichheit-in-schulsystemen-zusammenhaengen/

Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2019). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften. Berlin.
abrufbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards-Lehrerbildung-Bildungswissenschaften.pdf

Verzeichnis der Internetquellen

Bundeszentrale für politische Bildung (2019). 30 Jahre UN-Kinderrechtskonvention. https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/195229/30-jahre-un-kinderrechtskonvention/

Bundeszentrale für politische Bildung (o. J.). Quiz zum Tag der Kinderrechte. https://www.bpb.de/kurz-knapp/taegliche-dosis-politik/542845/quiz-zum-tag-der-kinderrechte/

Deutsches Kinderhilfswerk e.V. (a) (o. J.) Der Aufbau der UN-Kinderrechtskonvention. https://www.kinderrechte.de/kinderrechte/aufbau-der-konvention

Deutsches Kinderhilfswerk e.V. (b) (o. J.) Die Geschichte der Kinderrechte. https://www.kinderrechte.de/kinderrechte/geschichte-der-kinderrechte

Deutsches Kinderhilfswerk e.V. (c) (o. J.) Die UN-Konvention über die Rechte des Kindes. https://www.kinderrechte.de/kinderrechte/un-kinderrechtskonvention-im-wortlaut

Deutsches Komitee für UNICEF e.V. (o. J.) Eine kurze Geschichte der Kinderrechte. https://www.unicef.de/informieren/ueber-uns/fuer-kinderrechte/kurze-geschichte-der-kinderrechte

Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung (o. J.) Die 10 wichtigsten Kinderrechte kurz vorgestellt. https://www.ms.niedersachsen.de/kinderhabenrechtepreis/die-10-wichtigsten-kinderrechte-kurz-vorgestellt-133628.html

Medienverweise

Paluch, Andrea und Stephanie Marian (2024). Hier wird Politik gemacht! – Das Reichstagsgebäude. München: Karibu.

Hinweis

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