2.4 Viertes Allgemeines Prinzip: Partizipation
Hinweis
Die Kapitel enthalten Kommentare und Exkurse sowie Übungsaufgaben und Fragen zur Prüfungsvorbereitung.
- Mithilfe der Kommentare erläutern wir Ihnen die Fachinhalte und beziehen diese auf die Schulpraxis.
- Die Exkurse bieten wir Ihnen als optionale Vertiefung an.
- Die Übungsaufgaben bestehen aus unterschiedlichen Formaten: z. B. Single-Choice-Fragen, Zuordnungsaufgaben, Fallbeispiele, etc. Mit den Übungsaufgaben fokussieren wir auf zentrale Inhalte, um diese besser erarbeiten zu können.
- Die Fragen zur Prüfungsvorbereitungen helfen Ihnen, um die zentralen Inhalte für die Prüfung vorzubereiten.
In der UN-KRK ist das Recht auf Partizipation für Kinder und Jugendliche verankert. In der Zusammenfassung der 54 Artikel vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung (o. J.) wird das Recht auf Freie Meinungsäußerung und Beteiligung benannt: „Kinder haben das Recht bei allen Fragen, die sie betreffen, mitzubestimmen und zu sagen, was sie denken.“ Dieses Recht basiert auf den Artikeln 12 und 13 der Konvention:
„Artikel 12: Berücksichtigung des Kindeswillens
(1) Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.
(2) Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden.
Artikel 13: Meinungs- und Informationsfreiheit
(1) Das Kind hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ungeachtet der Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere vom Kind gewählte Mittel sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.
(2) Die Ausübung dieses Rechts kann bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind
a) für die Achtung der Rechte oder des Rufes anderer oder
b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit.“ (vgl. Deutsches Kinderhilfswerk o. J.)
Partizipation umfasst die Dimensionen Teilhabe und Beteiligung (vgl. Feldhaus, Hüllbrock, Jahns, Kleinschmidt-Schinke, Meier 2022), also den Zugang zu z. B. Bildung und die Beteiligung an Bildungsprozessen. Für Burow (2008) stellt sich folgende rhetorische Frage für die Bedeutung von Partizipation in der Schule: „Wo sollen denn SuS die Fähigkeit zur Gestaltung unserer Demokratie erlernen, wenn nicht an dem Ort, an dem sie den überwiegenden Teil ihrer Zeit verbringen?“
Um dem Kinderrecht auf Partizipation in der Schulpraxis gerecht werden zu können, müssen nach Reitz (2015) zwei Dimensionen unterschieden werden:
1) die funktionale Partizipation, auch als instrumentelle Partizipation bezeichnet, die Gefahr läuft zu einer Pseudopartizipation zu werden – also einer vorgetäuschten Teilhabe und Beteiligung
2) die rechtebasierte Partizipation
Funktionale Formen von Partizipation in der Schule sind z. B. die Abstimmung aus einer vorgegebenen Auswahl. Typische Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule beschränken sich auf Sitzordnung, Klassenraumgestaltung, Ausflugsziele und Klassenregeln: 40 Prozent der Schüler*innen fühlen sich in diesen Themen nicht hinreichend beteiligt (vgl. Andresen und Hurrelmann 2013, S. 126). Bei Unterrichtsinhalten und der Gestaltung der Lernprozesse findet nur selten Mitbestimmung statt. Funktionelle Formen der Partizipation sind weniger geeignet, um Verantwortung für den Lehr-Lernprozess mit den Schüler*innen zu teilen. Reitz (2015) verdeutlicht dies, indem sie darauf hinweist, dass „Sinn und Zweck des Entscheidungsgegenstands, also ob oder warum es überhaupt einen Ausflug gibt, […] eher selten mit der Lerngruppe verhandelt“ (S. 6) wird. Diese Form der Partizipation kann dazu führen, dass die Schüler:innen ihre Beteiligungsmöglichkeiten als Pseudopartizipation erleben. (vgl. Reitz 2015, S. 6).
Ein weiteres Beispiel für Partizipation von Schüler*innen ist das Recht auf Schüler*innen-Vertretungen (SV). Hier erhalten die Schüler*innen die Möglichkeit, Interessensvertreter*innen zu wählen, die in der Schulorganisation in Gremien Mitbestimmungsrechte besitzen. Diese Form dient der Einübung von demokratischen Prozessen und kann aufgrund dieser Übungsfunktion auch als funktionale Form bezeichnet werden. Gleichzeitig sind Schüler*innen-Vertretungen als rechtebasierte Partizipation zu kennzeichnen, denn diese gilt als eine Form, in der das Recht zur Partizipation nicht vom good will der Erwachsenen abhängt, sondern als Grundprinzip des Miteinanders in der Schule existiert. Dies ist nicht gleichbedeutend mit dem Missverständnis, dass Partizipation erst vollumfänglich erreicht wird, wenn jede Entscheidung gemeinschaftlich getroffen wird. Vielmehr gibt es verschiedene Stufen von Partizipation (vgl. Abbildung) mit denen das Recht auf Partizipation in der Schule ausgestaltet werden kann (vgl. Becker 2014, S. 8). Laut der UN-KRK obliegt es der Verantwortung der Erwachsenen, dass Kinder und Jugendliche in Abhängigkeit ihrer sich „entwickelnden Fähigkeiten und der Reife“ (Reitz 2015, S. 7) ihr Recht auf Partizipation ausüben können.
Folgende Kriterien für die Gestaltung von Partizipation hat der UN-Kinderrechtsausschuss dafür entwickelt:
- „transparent und informativ, damit Kinder sie verstehen
- freiwillig – Kinder sind nicht verpflichtet, ihre Meinung zu äußern. Auch ein Kind, das sich nicht beteiligen will, übt sein Recht auf Beteiligung aus;
- respektvoll – die Meinungen von Kindern müssen geachtet werden;
- bedeutsam für die Bedürfnisse und den Erfahrungsschatz von Kindern;
- kinderfreundlich, das heißt so gestaltet, dass sie für Kinder zugänglich sind und Kinder ermutigen;
- inklusiv, damit alle Kinder ihr Recht auf Partizipation ohne Diskriminierung ausüben können. Auch benachteiligte Kinder müssen sich beteiligen können, entsprechende Barrieren müssen abgebaut werden;
- unterstützt durch Bildungsmaßnahmen für beteiligte Erwachsene, um die Rechte des Kindes zu schützen;
- schützend und feinfühlig in Bezug auf das Risiko, das mit Meinungsäußerungen einhergehen kann;
- rechenschaftspflichtig mittels Rückmeldung, Monitoring und Evaluation“ (Reitz 2015, S. 7)
Das Recht auf Partizipation bedingt also das Miteinander in der Schule. Andresen und Hurrelmann zeigen in der World Vision Kinderstudie 2013 (S. 125, 128), in der sie die Perspektiven von Kindern im Alter von 6-11 Jahren erforschten, dass Partizipation das subjektive Wohlbefinden der Kinder und ihr Vertrauen in die Lehrkräfte stärkt. Wenn Partizipation zu Beginn der Schulzeit ausgeübt wird, fördert dies zudem das Engagement der Schüler*innen in Bezug auf ihre schulischen Leistungen. Die Gestaltung des Lehr-Lern-Prozesses in der Grundschule ist insofern prägend für den weiteren Verlauf und begründet somit auch aus pädagogischer Sicht eine fundierte rechtebasierte Pädagogik.
Exkurs: #kinderstören
In diesem 15-minütigen Video von Carolin Kebekus zu Herausforderungen und Missstände im Umgang mit Kinderrechten in unserer Gesellschaft können Sie die Kriterien für Partizipation des UN-Kinderrechtsausschusses zuordnen: Inwiefern werden die Kriterien noch zu oft nicht berücksichtigt? Wo liegen die Herausforderungen?
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Fragen zur Prüfungsvorbereitung
- Benennen Sie die Gesetzesgrundlagen zum allgemeinen Prinzip der Nichtdiskriminierung aus dem Grundgesetz und Bundes- und Landesgesetzen.
- Definieren Sie die Begriffe sozio-ökonomischer Status sowie die mittelbare und unmittelbare Diskriminierung.
- Benennen Sie die schützenswerten Merkmale der Persönlichkeit, auf die sich Diskriminierung beziehen kann.
- Erläutern Sie die Fallbeispiele aus Kapitel 2.1 mithilfe Ihres Fachwissens zum Recht auf Gleichheit und zur Diskriminierung.
- Was steht im §2 des NSchG?
- Beschreiben Sie, warum die Bewältigung der kindlichen Entwicklungsaufgaben für Sie als Lehrkraft mit Herausforderungen verbunden ist.
- Reflektieren Sie, inwiefern die Gehirnentwicklung in der Pubertät für Ihr Lehrer*innen-Handeln in unserem Schulsystem mit Herausforderungen verbunden ist.
- Benennen Sie Ihre Rechte und Pflichten als Lehrkraft in Bezug auf das Bekanntwerden von gewichtigen Anhaltspunkten für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen aus dem KKG.
- Beschreiben Sie, wie sich das Recht auf Schutz vor Gewalt in der Schule und in der Familie in Deutschland zeitlich entwickelt hat.
- Erklären Sie, wie sich die funktionale von der rechtebasierten Partizipation unterscheidet.
- Benennen Sie drei Kriterien des UN-Kinderrechteausschusses für die Gestaltung von Partizipation von Kindern und Jugendlichen.
Literatur
Andresen, Sabine & Hurrelmann, Klaus (2013). Kinder in Deutschland 2013. 3. World Vision Kinderstudie. Weinheim/Basel: Beltz.
Becker, Helle (2014). Partizipation von Schülerinnen und Schülern im GanzTag. Der GanzTag in NRW. Beiträge zur Qualitätsentwicklung. 10. Jahrgang,· Heft 27.
Burow, Olaf-Axel (2008). Ansatzpunkte und Verfahren partizipativer Ganztagsschulentwicklung. In Günther Burfeind et al. (Hg). Mitwirkung. Themenheft 10. Berlin.
Feldhaus, Michael; Hüllbrock, Nadine; Jahns, Esther; Kleinschmidt-Schinke, Katrin und Meier, Sarah (2022): Partizipation durch Digitalisierung, Sprachbewusstsein und Lebensweltorientierung. Oldenburg: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Reitz, Sandra (2015). Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Partizipation. Was aus menschenrechtlicher Sicht im Bildungsbereich getan werden muss. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte.
Verzeichnis der Internetquellen
Deutsches Kinderhilfswerk e.V. (c) (o. J.) Die UN-Konvention über die Rechte des Kindes. https://www.kinderrechte.de/kinderrechte/un-kinderrechtskonvention-im-wortlaut
Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung (o. J.) Die 10 wichtigsten Kinderrechte kurz vorgestellt. https://www.ms.niedersachsen.de/kinderhabenrechtepreis/die-10-wichtigsten-kinderrechte-kurz-vorgestellt-133628.html
Hinweis
Dieses Kapitel wird in Unterkapiteln vertieft. In der Navigationsleiste unten auf jeder Seite können Sie zum vorausgehenden und nachfolgenden Kapitel navigieren.
Kommentar
In diesem Abschnitt stellen wir Ihnen das 4. Allgemeine Prinzip, die Partizipation, vor. Wir werden die funktionale von der rechtebasierten Partizipation unterscheiden und Kriterien des UN-Kinderrechtsausschuss für die Partizipation (Teilhabe und Beteiligung) von Kindern und Jugendlichen vorstellen. Im Exkurs können Sie diese Kriterien auf die im Video von Carolin Kebekus aufgezeigten Herausforderungen und Missstände im Umgang mit Kinderrechten anwenden.