4.1 Gesundheit von Schüler*innen
Hinweis
Die Kapitel enthalten Kommentare und Exkurse sowie Übungsaufgaben und Fragen zur Prüfungsvorbereitung.
- Mithilfe der Kommentare erläutern wir Ihnen die Fachinhalte und beziehen diese auf die Schulpraxis.
- Die Exkurse bieten wir Ihnen als optionale Vertiefung an.
- Die Übungsaufgaben bestehen aus unterschiedlichen Formaten: z. B. Single-Choice-Fragen, Zuordnungsaufgaben, Fallbeispiele, etc. Mit den Übungsaufgaben fokussieren wir auf zentrale Inhalte, um diese besser erarbeiten zu können.
- Die Fragen zur Prüfungsvorbereitungen helfen Ihnen, um die zentralen Inhalte für die Prüfung vorzubereiten.
Im Kapitel 1 („Konzeptionelle Rahmung“) haben Sie das Wellbeing bzw. Wohlbefinden von Heranwachsenden als ein wichtiges Strukturprinzip kennengelernt, an dem sich die Bedingungen des kindlichen Aufwachsens sowie die Gestaltung von Schule orientieren sollen. Auch die Kinderrechte aus Kapitel 2 („Kinderrechte, Kindeswohl und rechtebasierte Pädagogik in der Schulpraxis“) zielen in letzter Konsequenz auf Wellbeing ab. Eine ganz zentrale Dimension von Wellbeing ist die Gesundheit, insbesondere die psychische Gesundheit. Sie wird in diesem Kapitel näher beleuchtet.
Zusammenhang von Gesundheit und Bildung
Für den Schulkontext ist die Gesundheit besonders relevant, da Bildung und Gesundheit in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Das bedeutet, dass sie sich gegenseitig beeinflussen. Zum einen sind besser gebildete Menschen im Durchschnitt auch gesünder. Sie haben ein höheres Gesundheitswissen, verhalten sich gesundheitsbewusster und haben mehr Möglichkeiten der sozialen Unterstützung. Zum anderen ist Gesundheit eine grundlegende Voraussetzung dafür, Leistungen erbringen zu können und überhaupt handlungsfähig zu sein. Das gilt natürlich auch für schulische Lernprozesse. So konnte eine Metaanalyse von Dadaczynski (2012) feststellen, dass Übergewicht, Adipositas, mangelnde körperliche Aktivität und psychische Probleme mit folgenden Parametern in einem Zusammenhang stehen:
- Schlechtere Schulleistungen (Schulnoten)
- Geringere Schulanwesenheit
- Selteneres Erreichen eines Schulabschlusses
- Seltenere Aufnahme und Abschluss eines Studiums
Das kognitive Leistungspotenzial von erkrankten Schüler*innen ist im Durchschnitt geringer. Sie werden in ihrem Lernen behindert. Zudem kann auch ihre soziale Integration in die Klassengemeinschaft beeinträchtigt sein. Das wiederum steht ebenfalls in Zusammenhang mit schlechteren Schulleistungen und einem verringertem Wohlbefinden.
Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten und Krankheitsbilder von Schüler*innen
Der Ursprung für zahlreiche Erkrankungen im Lebenslauf ist bereits in der Kindheit verortet. Dies gilt für diverse körperliche Krankheiten, aber noch einmal ganz besonders für psychische Erkrankungen. Die Hälfte aller mentalen Störungen manifestiert sich bereits bis zum Alter von 14 Jahren, 75 % im Alter von bis zu 24 Jahren (Kessler et al., 2005). In gesellschaftlichen Debatten wird häufig die Vermutung geäußert, dass psychische Auffälligkeiten unter Kinder und Jugendlichen über die letzten Jahre und Jahrzehnte zugenommen hätten. Von psychischen Auffälligkeiten wird dann gesprochen, wenn die Entwicklung von Heranwachsenden merklich negativ beeinträchtigt ist. Dies wird am Auftreten von vier Problemdimensionen, den sog. SDQs (Strength and Difficulties Questionnaire), festgemacht:
- Verhaltensprobleme (z. B. Wut, die Beherrschung verlieren)
- emotionale Probleme (z. B. Niedergeschlagenheit, negative Emotionen)
- Hyperaktivität (z. B. Konzentrationsschwierigkeiten)
- Probleme mit Gleichaltrigen (z. B. sich lieber mit sich selbst als mit anderen beschäftigen)
Empirische Untersuchungen konnten eine Zunahme psychischer Auffälligkeiten über den Zeitverlauf nicht bestätigen. So zeigte eine Metaanalyse von Barkmann und Schulte-Markwort (2012), dass der Anteil von Kindern mit psychischen Auffälligkeiten in den letzten sieben Jahrzehnten relativ konstant bei etwas unter 20 % geblieben ist. Etwa eines von sechs Kindern ist damit betroffen. Mit dieser Quote liegt Deutschland innerhalb des weltweiten Durchschnitts von 10-20 %, wenn auch im oberen Bereich. Die höchsten Prävalenzen liegen für 11-13-Jährige vor. In diesem Alter zeigen sogar insgesamt 22 % aller Kinder Auffälligkeiten (Klasen et al., 2017).
Wirft man einen Blick auf ärztlich diagnostizierte psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen, ist ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) am weitesten verbreitet. Im schulfähigen Alter sind zwischen sechs und sieben Prozent der Kinder von dieser Erkrankung betroffen. Das bedeutet im Durchschnitt ein bis zwei betroffene Kinder pro Schulklasse. Weitere verbreitete Krankheitsbilder sind Depressionen, Angststörungen und Essstörungen. Sie treten, anders als ADHS, zumeist erst im Jugendalter auf. Für diese Krankheiten stellt es sich schwierig dar, belastbare Zahlen zu Prävalenzen anzugeben, da viele Fälle nicht ärztlich diagnostiziert und somit auch nicht statistisch erfasst werden. Es gibt also hier eine enorme Dunkelziffer. Sichtbar wird die Verbreitung solcher psychischen Probleme, wenn man statt offiziell diagnostizierter Fälle das Gefährdungspotenzial untersucht. Dieses Vorgehen wurde in der Studie von Cohrdes et al. (2019) für die Verbreitung von Essstörungen verfolgt (siehe Abbildung).
Grafik: Prävalenz von Essstörungssymptomen (Anteile in %) zu KiGGS-Basis (2003–2006; N = 6599) und Welle 2 (2014–2017; N = 6018) im Altersverlauf und getrennt nach Geschlecht. Quelle: Cohrdes et al.
Audio zu Prävalenz von Essstörungssymptomen (Grafik)
Kommentar
Psychische Erkrankungen sind häufig komorbide. Das bedeutet, dass das Vorhandensein einer Erkrankung das Auftreten weiterer Erkrankungen wahrscheinlicher macht und psychische Störungen häufig gemeinsam auftreten. Zum Beispiel gehen Angststörungen häufig mit Depressionen einher, da die mit der Angsterkrankung einhergehenden Einschränkungen in das alltägliche Leben als so schwerwiegend und negativ eingeschätzt werden, dass es bei Betroffenen zu einer gedrückten Grundstimmung führt. Ein beträchtlicher Teil der Heranwachsenden leidet daher an gleich mehreren psychischen Erkrankungen.
Exkurs: DUDE – Ein Programm für Schüler*innen zur besseren Emotionssteuerung
„Ein Praxisbeispiel für ein schulisches Programm zur Gesundheitsförderung ist das Programm „DUDE – Du und deine Emotionen“der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) und dem Universitätsklinikum Würzburg. Es richtet sich an Schüler*innen der sechsten und siebten Klasse (11-13-Jährige), ist kostenfrei und wissenschaftlich fundiert. Das Ziel ist es, Schüler*innen einen besseren Umgang mit ihren Gefühlen zu ermöglichen. Dies wird auch als Emotionsregulation bezeichnet. An diesem Punkt setzt DUDE an, indem Kindern mithilfe von interaktiven Übungen praktische Strategien vermittelt werden, wie sich Stress und negative Gefühle besser steuern lassen. Ein Fokus liegt hier auf Spaß und einer spielerischen, erlebnisorientierten Vermittlung. Dazu werden innerhalb des Regelunterrichts fünf Doppelstunden in einem wöchentlichen Rhythmus aufgewendet, die mit kurzen Übungsaufgaben im Alltag ergänzt werden. Auf diese Weise sollen die Schüler*innen motiviert werden, die erlernten Kompetenzen auf ihren eigenen Lebensalltag zu übertragen.
Link: https://www.kkh.de/leistungen/praevention-vorsorge/gesundheitsfoerderung-setting/dude
Exkurs: Essstörungen von Schüler*innen
Zu den klassischen Essstörungen zählen drei Hauptformen:
- Bulimie (Ess-Brech-Sucht)
- Binge-Eating-Syndrom (Esssucht)
- Anorexie (Magersucht).
Die Ursachen solcher Störungen des Essverhaltens sind vielfältig. Auch gesellschaftliche Einflüsse können eine Rolle spielen. Ein Filmbeitrag des NDR verdeutlicht, wie unrealistische und krankhafte Schönheitsideale sowie der soziale Vergleich auf Plattformen wie Instagram zur Entstehung von Magersucht beitragen bzw. diese verstärken kann:
Wie Instagram den Weg in die Magersucht weisen kann (NDR, Panorama)
Psychische Gesundheit von SuS in der COVID-19-Pandemie
Auch wenn kein allgemeiner Trend zur Zunahme von psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen festzustellen ist, gab es in jüngster Vergangenheit dennoch einen deutlichen Anstieg psychischer Belastungen im Zuge der COVID-19-Pandemie (ZEIT Online, 2023). Verschiedene Untersuchungen haben sich mit diesem Thema befasst. Einen guten Einblick dazu bietet die folgende Grafik von Reiß et al. (2023), die den Verlauf von verschiedenen Gesundheitsindikatoren von Heranwachsenden über die letzten zwei Jahrzehnte abbildet:
Grafik: Psychische Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse der BELLA-Studie (2003–2017) und der COPSY-Studie (2020–2022). Quelle: Reiß et al., 2023
Audio zu Psychischen Auffälligkeiten (Grafik)
Auch nach Aufhebung aller Schutzmaßnahmen haben sich die Indikatoren für das Wohlergehen der Heranwachsenden noch nicht wieder auf das Ausgangsniveau zurückentwickelt (Reiß et al., 2023). Stattdessen sind einige psychische Belastungen chronisch geworden. Weitere Krisen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wie die Kriege in der Ukraine und in Gaza, das zunehmende Erstarken rechtspopulistischer Kräfte oder fortwährende globale Probleme wie der Klimawandel können Kindern den Eindruck einer Gesellschaft im Dauerkrisenmodus und das schädliche Gefühl der eigenen Machtlosigkeit vermitteln. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat festgehalten, dass sich Jugendliche und junge Erwachsene häufig nicht gesehen und ohnmächtig fühlen (Andresen et al., 2021). Damit einher gehen Frust, Angst und z. T. auch Resignation.
Kommentar
Nicht alle Schüler*innen waren in gleichem Maße von den Auswirkungen der Pandemie betroffen: besonders belastet waren (und sind z. T. noch immer) Kinder aus sozial schwächeren Familien, Grundschulkinder, sowie Mädchen. Die erhöhte Belastung von Mädchen ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass diese noch stärker unter der Isolation und dem Alleinsein gelitten haben als Jungen. Für sie sind, im Durchschnitt, enge soziale Bindungen und der direkte face-to-face Austausch noch ein wenig bedeutsamer als für Jungen. Möglicherweise haben Jungen es auch besser geschafft, soziale Bedürfnisse z. B. durch den Austausch über Onlinespiele zu kompensieren (Witte et al., 2023).
Exkurs: Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Jugendliche
Die Folgen der Pandemie für die Gesundheit junger Menschen wurde auch im Heute-Journal vom 24. März 2024 thematisiert:
https://www.zdf.de/nachrichten-sendungen/heute-journal/pandemie-belastung-jugendliche-100.html
Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen
Ein Faktor, der die psychische, physische, soziale und geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ganz wesentlich beeinflusst, ist ihr Bewegungsverhalten. Heranwachsende, die sich mehr und regelmäßig bewegen, entwickeln sich in allen genannten Belangen gesünder und haben ein verringertes Risiko für kurz-, mittel- und langfristige Erkrankungen ganz verschiedener Art (z. B. Diabetes Mellitus, Osteoporose, Arterienerkrankungen etc.). Eine Orientierung für eine angemessenes bzw. ausreichendes Bewegungsverhalten bieten die „Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung“ des Bundesministeriums für Gesundheit (BZgA, 2019)
Kommentar
Für 12-18-Jährige werden vom Ministerium folgende Empfehlungen ausgesprochen:
- „Mindestens 90 Minuten Bewegung pro Tag mit mittlerer bis hoher Intensität
- Davon können bis zu 60 Minuten mit Alltagsaktivitäten wie Radfahren oder Gehen (z. B. 12.000 Schritte pro Tag) absolviert werden
- Zusätzlich an zwei bis drei Tagen pro Woche höherintensive Beanspruchung größerer Muskelgruppen, um Kraft und Ausdauer zu stärken (angepasst an den individuellen Entwicklungsstand
- Vermeidbare Sitzzeiten auf ein Minimum reduzieren
- Nutzung von Bildschirmmedien auf ein Minimum reduzieren – höchstens 120 Minuten pro Tag“
Leider zeigen empirische Untersuchungen, dass die Alltagsrealität von Kindern und Jugendlichen in Deutschland eine andere ist. So verdeutlicht die folgende Grafik von Hanewinkel et al. (2023), wie wenige Kinder und Jugendliche das angestrebte Bewegungsziel tatsächlich erreichen. Insgesamt weist nur jede*r Dritte ein Bewegungsverhalten auf, das den o. g. Bewegungsempfehlungen entspricht. Je älter die Kinder werden, desto mehr nimmt auch ihr Aktivitätsniveau ab. Gerade Mädchen und Kinder aus Familien mit niedrigen sozioökonomischen Status schaffen es besonders selten, auf das geforderte Bewegungslevel zu kommen. Kinder in Deutschland bewegen sich insgesamt deutlich zu wenig und pflegen zunehmend, auch durch weiter steigende Bildschirmzeiten, einen gesundheitsabträglichen sitzenden Lebensstil.
Quelle: Hanewinkel et al. (2023)
Exkurs: Praxisbeispiel Programm Bewegte Schule in Niedersachsen
Bewegung ist nicht nur für die individuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen förderlich, sondern auch für ihr Lernen. Körperliche Aktivität führt zur Ausschüttung von Glückshormonen und steigert das allgemeine Wohlbefinden, was eine Grundvoraussetzung für effektives Lernen darstellt. Zudem regt sie hormonelle und neuronale Prozesse im Körper an, welche sich positiv auf die Konzentration und die Lernleistung auswirken. Vor diesem Hintergrund hat das niedersächsische Kultusministerium ein Programm ins Leben gerufen, das für mehr Bewegung im Unterricht sowie im Schulalltag im Allgemeinen sorgen soll. Zu dem Programm zählen z. B.:
- Eine Gestaltung des Pausenhofs, der zur Bewegung anregt und als selbstbestimmter Lernraum fungiert (z. B. Umgang mit Risiko- und Wagnissituationen)
- Bewegungsanreize im Unterricht (z. B. andere Arbeitsformen, Wechsel der Unterrichtsorte, Bewegungspausen, Einsatz von Gestik, Mimik und Körpersprache, Sitzhaltungen)
- Gestaltung von Innenräumen (z. B. Ergonomie, Rauminseln für Ruhe und Bewegung)
- Einbindung von Spielen und Entspannungsübungen
Prävalenz von Schulstress
Gesundheitliche Beschwerden können außerhalb wie innerhalb der Schule entstehen und/oder verstärkt werden. Im Folgenden soll es nun um Mechanismen gehen, bei denen Schule selbst zum Auslöser von gesundheitlichen Einschränkungen wird. Eine bundesweite Forsa-Umfrage (N = 526) im Auftrag des Nachhilfeportals Studienkreis aus dem Jahr 2020 beschäftigte sich mit dem schulischen Stresserleben von Kindern und Jugendlichen im Alter von 12-18 Jahren (Studienkreis, 2020).
Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass sich etwa drei von vier Schüler*innen (72 %) an mindestens einem Tag pro Woche wegen der Schule gestresst fühlen (Studienkreis, 2020). Für ein*e von vier Schüler*innen gilt dies sogar für mehr als drei Tage pro Woche. Das Stresserleben unterscheidet sich dabei etwas zwischen den Geschlechtern: Mädchen fühlen sich mit einem Anteil von 79 % häufiger gestresst als Jungen (66 %). Bei der Umfrage wurde auch erfragt, welche Gründe die Heranwachsenden für ihren Schulstress sehen. Die häufigsten Gründe sind in der folgenden Tabelle abgebildet:
Tabelle: Gründe für Schulstress nach Studienkreis (2020)
Gründe für Schulstress (Mehrfachnennung möglich) | Anteil |
Eigener Anspruch | 63 % |
Hausaufgaben | 46 % |
Angst vor Noten | 45 % |
Druck von Lehrkräften | 34 % |
Druck von Eltern | 21 % |
Interessanterweise handelt es sich bei den am häufigsten genannten Grund, hohen eigenen (Leistungs-)Ansprüchen, nicht um einen externen, sondern um einen internen Stressor. Ungefähr zwei von drei Kindern geben dies als eine Ursache an. Fast die Hälfte der Jugendlichen verspürt überdies Ängste ob der Notenbewertungen. Jugendliche legen also hohe Maßstäbe an sich an und setzen sich damit häufig selbst unter Druck. Auch dies gilt für Mädchen noch häufiger als für Jungen. Eine der befragten Schüler*innen in der Studie drückte es so aus: „Ich lerne viel und habe trotzdem ein schlechtes Gewissen, wenn ich eine nicht so gute Note in einer Klausur schreibe.“
Weitere häufig genannte Stressoren für Jugendliche sind die Lernbelastung durch Hausaufgaben (46 %) sowie hohe Ansprüche bzw. direkt erlebter Leistungsdruck durch Lehrkräfte (für jede*n dritte* Schüler*in) oder Eltern (für jede*n fünfte*n Schüler*in). Hier spielen erneut die Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie eine Rolle: Viele Schüler*innen berichten von dem Druck, „in der Pandemie Versäumtes nachzuholen, das Schuljahr mit guten Noten abzuschließen, einen Abschluss zu schaffen, der eine solide berufliche Zukunft ermöglicht“ (KKH, 2023). Im Jahr 2022 ist der Anteil derjenigen, die äußeren Leistungsdruck als einen Grund für starke psychische Belastungen angaben, auf mehr als zwei Drittel gestiegen. Aus anderen Studien ist zudem bekannt, dass auch zwischenmenschliche Probleme mit Mitschüler*innen und/oder Lehrkräften häufig genannte Gründe für schulischen Stress darstellen (Hanewinkel et al., 2023). Einen Extremfall für soziale Konflikte innerhalb der Schule mit besonders schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit stellen Mobbingerfahrungen dar.
Kommentar
Leistungsdruck betrifft nicht nur leistungsschwächere Schüler*innen, bei denen bspw. Ängste um die Versetzung bestehen. Er tritt ebenso bei sehr guten Schüler*innen, die auf keinen Fall nur mittelmäßige Leistungen erbringen wollen, auf. Obschon eigene Leistungsansprüche oder Benotungsängste im Innern der Schüler*innen entstehen, spiegeln sie gleichzeitig auch immer Vorstellungen der Gesellschaft oder Erwartungen wichtiger Bezugspersonen. Die Erwartungen wurden von den Heranwachsenden, bewusst oder unbewusst, internalisiert (also: verinnerlicht) und als eigene Vorstellungen übernommen.
Auswirkungen von Schulstress:
Schulstress kann mit verschiedenen negativen Entwicklungen einhergehen, die sich sowohl auf den schulischen Kontext als auch auf weitere Lebensbereiche beziehen können. Zu den potenziellen Auswirkungen zählen u. a. (siehe dazu: Prediger, 2022):
- eine verringerte Fähigkeit zur Erledigung von Schulaufgaben
- internalisierende und externalisierende Verhaltensprobleme
- ein verringertes subjektives Wohlbefinden
- die Wahrnehmung einer verminderten Lebensqualität
- Kopf- und Bauchschmerzen
- Erschöpfung
- Unruhe & Gereiztheit
- ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Angststörungen und Depressionen
Kommentar
Wie ließe sich Schulstress von Kindern und Jugendlichen verringern? Was könnten Maßnahmen sein, die an die o. g. zentralen Gründe für Schulstress anschließen?
Fragen zur Prüfungsvorbereitung:
- Worauf wirkt sich eine schlechte Gesundheit bei Schüler*innen aus?
- Was sind häufige Krankheitsbilder von Kindern und Jugendlichen?
- Wie haben sich psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten entwickelt? Welche Rolle spielte dabei die COVID-19-Pandemie?
- Welche zentralen Gründe für den Schulstress nennen Heranwachsende?
- Welche Folgen kann (anhaltender) Schulstress bei Kindern und Jugendlichen haben?
Literatur
Andresen, S., Heyer, L., Lips, A., Rusack, T., Schröer, W., Thomas, S., & Wilmes, J. (2021). Das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie. Erfahrungen, Sorgen, Bedarfe. Bertelsmann Stiftung, Gütersloh.
Barkmann, C., & Schulte-Markwort, M. (2012). Prevalence of emotional and behavioural disorders in German children and adolescents: a meta-analysis. Journal of epidemiology and community health, 66(3), 194–203. https://doi.org/10.1136/jech.2009.102467
BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) (2019). Menschen in Bewegung bringen – Strukturen schaffen, Bewegung fördern, lebenslang bewegen. https://shop.bzga.de/menschen-in-bewegung-bringen-60640104/ (Abgerufen am 08.08.2024)
Cohrdes, C., Göbel, K., Schlack, R. (2019). Essstörungssymptome bei Kindern und Jugendlichen: Häufigkeiten und Risikofaktoren. Bundesgesundheitsblatt 62, 1195–1204. https://doi.org/10.1007/s00103-019-03005-w
Dadaczynski, K. (2012). Stand der Forschung zum Zusammenhang von Gesundheit und Bildung: Überblick und Implikationen für die schulische Gesundheitsförderung. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 20(3), 141–153. https://doi.org/10.1026/0943-8149/a000072
Kessler, R. C., Berglund, P., Demler, O., Jin, R., Merikangas, K. R., & Walters, E. E. (2005). Lifetime prevalence and age-of-onset distributions of DSM-IV disorders in the National Comorbidity Survey Replication. Archives of general psychiatry, 62(6), 593–602. https://doi.org/10.1001/archpsyc.62.6.593
KKH (Kaufmännische Krankenkasse) (2023). Wenn psychischer Druck den Nachwuchs krank macht. Angststörungen, Depressionen & Co. nehmen deutlich zu – Neues Präventionsprojekt senkt suizidales Verhalten. https://www.kkh.de/presse/pressemeldungen/pkpsycheschueler (Abgerufen am 01.08.2024)
Klasen, F., Meyrose, A.-K., Otto, C., Reiss, F., & Ravens-Sieberer, U. (2017). Psychische Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse der BELLA-Studie. Monatsschrift Kinderheilkunde, 165(5), 1-6. https://doi.org/10.1007/s00112-017-0270-8
Prediger, S. (2022). Schulstress – Ein zusätzliches Entwicklungsrisiko für Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten? Postdamer Zentrum für empirische Inklusionsforschung, Nr. 6. https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/inklusion/PDFs/ZEIF-Blog/Prediger_2022_Schulstress.pdf (Datum des Zugriffs: 10.07.2024)
Reiß, F., Kaman, A., Napp, A.-K., Devine, J., Li, L. Y., Strelow, L., Erhart, M., Hölling, H., Schlack, R., & Ravens-Sieberer, U. (2023). Epidemiologie seelischen Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse aus 3 Studien vor und während der COVID-19-Pandemie. Bundesgesundheitsblatt 66, 727–735. https://doi.org/10.1007/s00103-023-03720-5
Witte, J., Zeitler, A., Hasemann, L., & Diekmannshemke, J. (2023). DAK-Kinder- und Jugendreport 2023. Gesundheit und Gesundheitsversorgung während und nach der Pandemie. Datenzeitraum: 2017-2022. Vandage, Bielefeld.
ZEIT Online (2023). Essstörungen nehmen massiv zu. https://www.zeit.de/news/2023-05/04/essstoerungen-nehmen-massiv-zu (Abgerufen am 31.07.2024)
Kommentar
Um dem gesundheitlichen Wellbeing von Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden und gleichzeitig (zumindest in diesem Teilbereich) Chancengleichheit für den Bildungserfolg herzustellen, ist es daher unabdingbar, die Schule selbst als einen zentralen Ort der Gesundheitsförderung zu verstehen und zu gestalten. Dies gilt nicht zuletzt auch deshalb, weil die Heranwachsenden dort einen erheblichen Teil ihres Alltags verbringen. Eine Auseinandersetzung von Schulen und (angehenden) Lehrkräften mit diesem Thema ist daher zwingend notwendig. In diesem Kapitel wollen wir dazu anregen, wie Schule ein solcher Ort sein bzw. werden könnte.