3 Pädagogisches Handeln auf Basis einer fundierten Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung
Hinweis
Die Kapitel enthalten Kommentare und Exkurse sowie Übungsaufgaben und Fragen zur Prüfungsvorbereitung.
- Mithilfe der Kommentare erläutern wir Ihnen die Fachinhalte und beziehen diese auf die Schulpraxis.
- Die Exkurse bieten wir Ihnen als optionale Vertiefung an.
- Die Übungsaufgaben bestehen aus unterschiedlichen Formaten: z. B. Single-Choice-Fragen, Zuordnungsaufgaben, Fallbeispiele, etc. Mit den Übungsaufgaben fokussieren wir auf zentrale Inhalte, um diese besser erarbeiten zu können.
- Die Fragen zur Prüfungsvorbereitungen helfen Ihnen, um die zentralen Inhalte für die Prüfung vorzubereiten.
Beziehungsarbeit ermöglicht es uns, über die fachliche Kompetenzentwicklung hinauszugehen und auch die Zukunftskompetenzen zu erarbeiten, die unser gesellschaftliches Zusammenleben und -arbeiten prägen. Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zunächst beim Individuum ansetzen, sind die Voraussetzung für ein von Respekt und Kommunikationsbereitschaft getragenes Miteinander:
- Die eigenen Belastungen und Ressourcen ausbalancieren zu können,
- Verhalten von sich und anderen zu reflektieren,
- Verantwortung zu tragen,
- und Machtstrukturen zu erschließen
- als auch Machtmissbrauch entgegenzutreten
sind Basiskompetenzen, die erlernt werden müssen, um demokratische Prozess wertschätzen und deren Kontroversität wie Komplexität aushalten zu können.
Das Demokratielernen ist bereits im Bildungsauftrag (§2 im NSchG) verankert:
„(1) 1Die Schule soll im Anschluss an die vorschulische Erziehung die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage des Christentums, des europäischen Humanismus und der Ideen der liberalen, demokratischen und sozialen Freiheitsbewegungen weiterentwickeln. 2Erziehung und Unterricht müssen dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Niedersächsischen Verfassung entsprechen; die Schule hat die Wertvorstellungen zu vermitteln, die diesen Verfassungen zugrunde liegen. 3Die Schülerinnen und Schüler sollen fähig werden,
- die Grundrechte für sich und jeden anderen wirksam werden zu lassen, die sich daraus ergebende staatsbürgerliche Verantwortung zu verstehen und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen,
- nach ethischen Grundsätzen zu handeln sowie religiöse und kulturelle Werte zu erkennen und zu achten,
- ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten,
- den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere die Idee einer gemeinsamen Zukunft der europäischen Völker, zu erfassen und zu unterstützen und mit Menschen anderer Nationen und Kulturkreise zusammenzuleben,
- ökonomische und ökologische Zusammenhänge zu erfassen,
- für die Erhaltung der Umwelt Verantwortung zu tragen und gesundheitsbewusst zu leben,
- Konflikte vernunftgemäß zu lösen, aber auch Konflikte zu ertragen,
- sich umfassend zu informieren und die Informationen kritisch zu nutzen,
- ihre Wahrnehmungs- und Empfindungsmöglichkeiten sowie ihre Ausdrucksmöglichkeiten unter Einschluss der bedeutsamen jeweiligen regionalen Ausformung des Niederdeutschen oder des Friesischen zu entfalten,
- sich im Berufsleben zu behaupten und das soziale Leben verantwortlich mitzugestalten.“
Kommentar
In der Schulpraxis ist es Teil Ihres pädagogischen Handelns über Beziehungsarbeit Gesprächsanlässe zu gestalten und Gesprächsräume zu öffnen, um im Sinne des Bildungsauftrags auch über fordernde Inhalte, Meinungen und Diskurse miteinander in den Austausch zu kommen.
Zu den Themen Diversität und Antisemitismus- sowie Rassismusprävention stellen wir Ihnen drei Formen von Gesprächsanlässen und -räumen aus der Schulpraxis vor:
- Netzwerke schaffen Gesprächsräume in der Schule, weil Sie einen Rahmen bieten, der auf Themen aufmerksam macht. Zwei Beispiele aus der Schulpraxis sind: Schule ohne Rassismus und Schule der Vielfalt Niedersachsen. In diesen Netzwerken können sich Schulen organisieren und innerhalb der Schulgemeinschaft miteinander kommunizieren und gestalten.
- Medien eignen sich als Gesprächsanlässe, weil sie einen Zugang ermöglichen, der mit einem Austausch über das Medium beginnt, bevor im Verlauf z. B. Meinungen diskutiert werden: Medien wie Zeitung, Buch, TV, Social Media sind nur einige Beispiele für die Fülle von Zugängen, die Sie als Lehrperson wählen können: Für die Primar- und Sekundarstufe 1 haben wir Ihnen einen Auszug aus einem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichneten Sachbuch ausgewählt: Alles Familie – Vom Kind der neuen Freundin vom Bruder von Papas früherer Frau. (Maxeimer & Kuhl 2021)
- Außerschulische Lernorte öffnen Gesprächsräume, indem sie für ein Thema authentische Lern- und Erfahrungsräume schaffen: ein Beispiel für einen Lernort für die Sekundarstufe 1 und 2 stellen wir Ihnen hier mit einem Audio-Ausschnitt vor: die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main. Hören Sie sich das Interview vom Deutschlandfunk von Minute 3:00-9:00 an, in dem Dr. Deborah Schnabel, Direktorin der Bildungsstätte, erklärt, wie sie an diesem Lernort Gesprächsräume für Schüler:innen und ihre Lehrer:innen gestalten. Das Interview wurde im November 2023 aufgezeichnet.
Über weitere außerschulische Lernorte können Sie sich auf der Methodenkartei informieren.
Bindung
Die grundlegendste Beziehung, die wir erleben, ist die sogenannte Bindung zu unseren engsten Bezugspersonen, wie Mutter und Vater. Diese kindliche Bindung prägt uns lebenslang, gleichwohl ist sie durch weitere Beziehungen, die wir erleben, veränderbar.
Im pädagogischen Handeln ist die Bindungserfahrung der Schüler*innen als auch die der Lehrpersonen relevant für die fundierte Gestaltung der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung. Letztere ist keine Bindungserfahrung im engeren Sinne, weil sie von Beginn an zeitlich begrenzt und professionell angelegt ist.
Nach Mary Ainsworth (1978) sind in der psychologischen Forschung 3 Bindungstypen identifiziert worden,
- sichere Bindung
- unsicher-vermeidende Bindung
- unsicher-ambivalente Bindung
die von Mary Main um einen 4. Bindungstyp ergänzt wurde (vgl. Main 2002):
- unsicher-desorganisierte Bindung
Neben der sicheren Bindung, die derzeit gut 50 Prozent der Kinder erfahren (vgl. Metaanalyse von Madigan et al. (2023), Deneault et al. (2023)), werden die 3 oben benannten, unsicheren Bindungen in der Fachliteratur beschrieben. Um die Relevanz der derzeitigen Verteilung für die pädagogische Praxis zu verdeutlichen, sei erwähnt, dass das sichere Bindungsmuster zuvor noch bei knapp 70 Prozent der Kinder beobachtet werden konnte. Außerdem ist die sogenannte unsicher-desorganisierte Bindung aktuell bei circa 25 Prozent der Kinder messbar. Dies sei nach Huber (2024, S. 60, 136) besonders relevant, weil dieser Bindungstyp als Risikofaktor für die kindliche Entwicklung gilt.
In der Bindungsforschung bringt man Kinder in herausfordernde Situationen, zum Beispiel eine Trennungssituation von ihrer Bezugsperson (meist Mutter), und beobachtet, wie das Kind dann auf seine unbelebte Umwelt (z. B. Spielsachen) und Personen sowie Bezugspersonen reagiert.
„Eine sichere Bindung erlaubt dem Kind das größtmögliche Maß an Vielfalt im gegensätzlichen Verhaltensspektrum von Bindung und Exploration. Bei sicherer Bindung ist die Aufmerksamkeit des Kindes auf die Bindungspersonen und die Sachumwelt flexibel und ausbalanciert ausgerichtet. Das Kind ist offen für Erfahrungen und kann seine Gefühle ausdrücken. Sicher gebundene Kinder erleben ihre Bindungsperson als zuverlässig feinfühlig. Die Strategie des Kindes in bindungsrelevanten Situationen lautet: ›Ich weiß und kann darauf vertrauen, dass ich mich in Stresssituationen an dich wenden kann, um Trost und Sicherheit zur Bewältigung meiner beunruhigenden Gefühle zu erfahren, um mich danach wieder meinen Spielaktivitäten zuzuwenden.‹“ (Huber 2024, S. 53f.)
„Unsicher-desorganisiert gebundene Kinder erleben ihre Bindungsperson als überwältigend ängstigend, unsicher oder chaotisch. Die Strategie des Kindes in bindungsrelevanten Situationen lautet: ›Obwohl ich dich dringend zum Schutz und zum Sicherheitstanken bräuchte, macht mir dein Verhalten so viel Angst und verstört mich so sehr, dass ich keine innere Ordnung mehr finden kann.
Deswegen werde ich selbst chaotisch und zeige verwirrende Verhaltensweisen, um damit selbst fertig zu werden.‹“ (Huber 2024, S. 59)
„Bei Kindern mit unsicher-vermeidender Bindung fällt auf, dass während der gesamten Fremden-Situation praktisch kein Bindungsverhalten auftritt – keine Anzeichen von Belastung oder Ärger. Dieses wird durch aktives Vermeidungsverhalten (wegschauen, weglaufen bzw. auf Distanz bleiben, sich vom Körper der Mutter weglehnen) sowie auch durch andauernde Aufmerksamkeitsverschiebung auf die unbelebte Umwelt ersetzt. Unsicher-vermeidend gebundene Kinder erleben ihre Bindungsperson als ›zuverlässig‹ abweisend. Die Strategie des Kindes in bindungsrelevanten Situationen lautet: ›Ich fühle mich gestresst, meide aber deine Nähe aus Angst vor einer (erneuten) Zurückweisung. Nur wenn der Stress so groß wird, dass ich gar nicht mehr selbst damit klarkomme, kann ich mich überwinden, zu dir zu kommen, und fühle mich durch deine Nähe doch entlastet.‹ Die Aufmerksamkeitsverschiebung des Nähe vermeidenden Kindes auf die übermäßige Exploration kann als Anpassungs- und Bewältigungsstrategie interpretiert werden, indem emotionale Reaktionen auf Angst auslösende Bedingungen minimiert und somit eine Unterdrückung des Bindungsverhaltens aufrechterhalten wird.“ (Huber 2023, S. 55f.)
„Unsicher-ambivalent gebundene Kinder erleben ihre Bindungsperson als unzuverlässig, d.h. einmal feinfühlig, ein andermal verunsichernd und unsensibel. Die Strategie des Kindes in bindungsrelevanten Situationen lautet: ›Ich vertraue dir nicht, dass du meine Bindungssignale zuverlässig und vorhersehbar feinfühlig beantwortest. Deshalb muss ich mich an dir festhalten (›klammern‹), aber ich ärgere mich gleichzeitig darüber, dass ich dir nicht vertrauen kann.‹ Im Gegensatz zu den unsicher-vermeidend gebundenen Kleinkindern, die ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Sachumwelt (z.B. Spielsachen) und die Exploration richten, fokussiert das ambivalente Kind beharrlich seine Bezugsperson und ist sogar oftmals zu gestresst und überbeschäftigt mit ihr, um sich überhaupt seiner erweiterten Umwelt zuzuwenden. Es scheint damit das ›Spiegelbild‹ des vermeidenden Kleinkindes zu sein. Wie beim vermeidenden und anders als beim sicher-gebundenen Kind ist seine Aufmerksamkeit nicht flexibel und fließend, sondern zentriert sich nur auf einen Aspekt seiner Umgebung.„ (Huber 2024, S. 57)
Bindung und Beziehung
Die professionalisierte Beziehungsarbeit, die Lehrpersonen leisten, hat anders als die sichere Bindung und positive private Beziehungen zwar keinen liebevollen, aber wertschätzenden Charakter und nimmt die kindlichen Bedürfnisse wahr: Zu den kindlichen Grundbedürfnissen von Schüler*innen zählt das Bedürfnis nach beständigen liebevollen Beziehungen (vgl. „2.2 Zweites Allgemeines Prinzip: Vorrang des Kindeswohls“ zum Bedürfnis nach entwicklungsgerechten Erfahrungen, vgl. Brazelton & Greenspan 2002). Wird dieses Bedürfnis erfüllt, gilt es als ein Fundament für die gesunde kindliche Entwicklung und kann die Auswirkungen, wenn andere Bedürfnisse nicht hinreichend befriedigt werden, z. B. das Bedürfnis nach einer sicheren Zukunft, mitunter abmildern. 2-3 vertraute erwachsene Bezugspersonen gelten als Richtgröße, um dieses Bedürfnis verlässlich erfüllen zu können. Aufgrund der bestehenden Bindungserfahrungen der Schüler*innen und Lehrer*innen ist die Beziehungsarbeit von unterschiedlichen Herausforderungen geprägt , die sich als Orientierungsrahmen für die pädagogische Praxis fokussieren lassen (vgl. Hagenauer & Raufelder S. 7-12):
- Sicher gebundene Schüler*innen suchen eher die Nähe der Lehrperson.
- Sicher gebundenen Lehrkräften fällt es leichter, fundierte Lehrer*innen-Schüler:innen-Beziehungen aufzubauen.
- Unsicher gebundene Lehrkräfte reagieren eher aggressiv auf unerwünschtes Verhalten von Schüler*innen.
- Unsicher gebundene Lehrkräfte können schlechter mit dem Gefühl von Ablehnung durch die Schüler*innen umgehen.
- Lehrpersonen bringen sicher gebundenen Schüler*innen tendenziell mehr Zugneigung und Unterstützung entgegen.
- Lehrpersonen fällt es tendenziell schwerer, mit unsicher gebundenen Kindern eine fundierte Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung aufzubauen.
- Insbesondere unsicher gebundene Kinder benötigen eine fundierte Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung, um ihren Lernprozess in der Schule stärken zu können.
Daraus folgt: Sicher gebundene Lehrkräfte und sicher gebundene Schüler*innen können leichter fundierte Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehungen miteinander aufbauen. Insofern sind unsicher gebundene Schüler*innen benachteiligt. Unsicher gebundene Lehrkräfte sind gefordert durch den Aufbau ihrer Reflexionskompetenzen, die Auswirkungen ihrer Bindungserfahrungen auf die Gestaltung ihrer Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung zu erkennen und zu entwickeln. Sicher gebundene Lehrkräfte sind ebenso gefordert, den Aufbau von Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehungen zu unsicher gebundenen Schüler*innen zu reflektieren und entsprechend zu verbessern.
Kommentar
Im Rahmen Ihrer Professionalisierung erarbeiten Sie sich Fachkenntnisse, wie die hier dargestellten Inhalte zur Bedeutung von Bindungserfahrungen für die Gestaltung der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung, um insbesondere die nicht direkt beobachtbaren Zusammenhänge zu erschließen und darauf aufbauend ihr pädagogisches Handeln zu professionalisieren. Darin unterscheidet es sich vom Alltagshandeln.
Widmen wir uns nun der Frage, wie fundierte Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehungen, die von Wertschätzung geprägt sind, in der Schulpraxis aussehen:
“Laut Kinderrechtskonvention und Gesetzgebung sind seelische Verletzungen unzulässig: aber auch, dass seelische Verletzungen durch Lehr- und Fachkräfte zu häufig vorkommen. Studien belegen,
- dass Kinder und Jugendliche viel Anerkennung erfahren,
- aber auch, dass seelische Verletzungen durch Lehr- und Fachkräfte zu häufig vorkommen.” (Reckaner Reflexionen o. J.)
Insofern können wir nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehungen per se wertschätzend gestaltet werden. Es bedarf einer reflexiven Auseinandersetzung, z. B. mit den eigenen Bindungserfahrungen, um fundierte Beziehungsarbeit zu leisten.
Die Reckaner Reflexionen sind Leitlinien zur Gestaltung fundierter pädagogischer Beziehungen, die der Handlungsorientierung in der Schulpraxis dienen und dadurch seelischen Verletzungen von Schüler*innen durch Lehrkräfte vorbeugen helfen sollen:
„Was ethisch begründet ist:
- Kinder und Jugendliche werden wertschätzend angesprochen und behandelt.
- Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte hören Kindern und Jugendlichen zu.
- Bei Rückmeldungen zum Lernen wird das Erreichte benannt. Auf dieser Basis werden neue Lernschritte und förderliche Unterstützung besprochen.
- Bei Rückmeldungen zum Verhalten werden bereits gelingende Verhaltensweisen benannt. Schritte zur guten Weiterentwicklung werden vereinbart. Die dauerhafte Zugehörigkeit aller zur Gemeinschaft wird gestärkt.
- Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte achten auf Interessen, Freuden, Bedürfnisse, Nöte, Schmerzen und Kummer von Kindern und Jugendlichen. Sie berücksichtigen ihre Belange und den subjektiven Sinn ihres Verhaltens.
- Kinder und Jugendliche werden zu Selbstachtung und Anerkennung der Anderen angeleitet.
Was ethisch unzulässig ist:
- Es ist nicht zulässig, dass Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte Kinder und Jugendliche diskriminierend, respektlos, demütigend, übergriffig oder unhöflich behandeln.
- Es ist nicht zulässig, dass Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte Produkte und Leistungen von Kindern und Jugendlichen entwertend und entmutigend kommentieren.
- Es ist nicht zulässig, dass Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen herabsetzend, überwältigend oder ausgrenzend reagieren.
- Es ist nicht zulässig, dass Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte verbale, tätliche oder mediale Verletzungen zwischen Kindern und Jugendlichen ignorieren.“
Kommentar
Nähern wir uns der Gestaltung einer fundierten Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung ergänzend zu einer rechtebasierten Gestaltung, wie oben z. B. durch den Bildungsauftrag und die UN-Kinderrechtskonvention dargelegt, nun noch einmal aus einer Lernenden-Perspektive, indem wir uns folgende Frage stellen:
Was macht Lieblingslehrkräfte aus?
Drei Zugänge werden wir hier exemplarisch einander gegenüberstellen, um wiederum Rückschlüsse auf die Bedürfnisse von Lernenden in Bezug auf die Beziehung zur ihren Lehrenden zu ziehen:
- Studienergebnisse aus dem Jahr 1972
- Meinungsbilder aus dem Modul biw210 aus dem Jahr 2023
- Kinder-Aussagen aus einem Blog der Logo-Kindernachrichten aus dem Jahr 2023
Studienergebnisse aus dem Jahr 1972 von Hargreaves:
Wir haben Ergebnisse aus einer 52 Jahre alten Studie ausgewählt, da sie im Vergleich zu späteren Erhebungen eine gewisse Beständigkeit in den Erwartungen von Schüler*innen sichtbar macht. Diese Übereinstimmungen mit weiteren Studien bis 1995 fassen X und Y so zusammen:
„Erwartet wird, dass der Lehrer bzw. die Lehrerin
- verständnisvoll ist,
- tolerant,
- emotional,
- undogmatisch,
- spontan,
- aber auch didaktisch kompetent,
- dass sie des Weiteren fähig sind, den Stoff zu erklären
- und den Unterricht interessant zu gestalten.“
Im Wintersemester 23/24 haben wir Studierende aus dem Modul Sozialisation, Erziehung, Bildung gebeten, uns zu nennen, was ihre Lieblingslehrkräfte ausmacht. Die Antworten haben wir in einer Word-Cloud visualisiert. Begriffe im Zentrum der Cloud und groß dargestellte Begriff sind mehrfach genannt worden. Die Nennungen ähneln den Erkenntnissen aus den Studien.
Wenn wir uns nun noch exemplarisch die Meinung zweier Schüler*innen aus dem Jahr 2023 anschauen, die dem Aufruf der Logo Kindernachrichten gefolgt sind, zu schreiben, was ihre Lieblingslehrkräfte ausmacht, dann begegnen wir auch in dieser medialen Beteiligungsform einem ähnlichen Bedürfnis nach wertschätzenden Beziehungen:
Zusammenfassend betrachtet ist eine auf Wertschätzung fundierte Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung rechtebasiert begründet und obliegt nicht dem good will der einzelnen Lehrkraft. Teil Ihrer Ausbildung ist es, das nötige Fachwissen zur pädagogischen Beziehungsarbeit zu erwerben und darauf aufbauend in Ihren Praktika und im Referendariat sowie fortlaufend in der schulischen Praxis die Gestaltung der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehungen zu professionalisieren.
Literatur
Ainsworth, Mary D. Salter (1978). Patterns of Attachment. A Psychological Study of the Strange Situation. Hillsdale (NJ): Erlbaum.
Deneault, A. A., Bureau, J. F., Duschinsky, R., Fearon, P. & Madigan, S. (2023). A
meta-analysis of the distribution of preschool and early childhood attachment as assessed in the strange situation procedure and its modified versions.
Attachment & Human Development, 25(2), 322–351.
Hargreaves, David H. (1972). Interpersonal Relations and Education. London: Routledge & Kegan Paul.Quelle Michael ???
Huber, Johannes (2024). Kinder brauchen Bindung. Beziehungsgestaltung in Familie und Kita. Stuttgart: Kohlhammer.
Madigan, Shari; Fearon, R. M. P.; van IJzendoorn, M. H.; Duschinsky, R.; Schuengel, C.; Bakermans-Kranenburg, M. J.; Ly, A.; Cooke, J. E.; Deneault, A.-A.; Oosterman, M. & Verhage, M. L. (2023). The first 20,000 strange situation procedures: A meta-analytic review. Psychological Bulletin, 149 (1-2), 99–132.
Mary Main: Organisierte Bindungskategorien von Säugling, Kind und Erwachsenem. In: K.-H. Brisch, K. E. Grossmann, K. Grossmann & L. Kohler (Hrsg.): Bindungen und seelische Entwicklungswege: Grundlagen, Prävention und klinische Praxis. Klett-Cotta, Stuttgart 2002.
Maxeiner, Alexandra & Kuhl, Anke (2021). Alles Familie! Vom Kind der neuen Freundin vom Bruder von Papas früherer Frau und anderen Verwandten. Leipzig: Klett Kinderbuch Verlag.
o. A. (2024). Leserinnenbrief. Sparzwang: Kita-Träger in OWL kürzen Besetzung. Neue Westfälische 106 (19).
Prengel, Annedore; Heinzel, Friederike; Reitz, Sandra & Winklhofer, Ursula (2017). Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte.
Verzeichnis der Internetquellen
Aktion Courage e. V. (o. J.) Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. https://www.schule-ohne-rassismus.org/
Bildungsstätte Anne Frank e. V. (o. J.) Bildungsstätte Anne Frank. https://www.bs-anne-frank.de/
Niedersächsisches Vorschrifteninformationssystem (NI-VORIS) (o. J.). § 2 NSchG – Bildungsauftrag der Schule. https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/f64f333a-a845-37da-b0e4-6c2666eaaf0f
Queeres Netzwerk Niedersachsen e. V. (o. J.) Schule der Vielfalt* Niedersachsen. https://schule-der-vielfalt-nds.de/
Kommentar
Beziehungsarbeit ist das Kernstück des Lehr-Lern-Prozesses. Lehrkräfte und Pädagog*innen sind Multiplikator*innen, die dem Recht auf Bildung verpflichtet sind und die die ihnen durch die Schulpflicht anvertrauten Menschen in ihrer Entwicklung zu mündigen Bürger*innen unterstützen.
„Wir alle erwarten, dass […] das Kindeswohl an erster Stellt steht. Wir wünschen uns, dass Überlastung und Überforderung [der Pädagog*innen wie der Kinder] erkannt werden und jedes Kind die Chance bekommt, sich die Welt aneignen zu können, und zwar mit ausreichend kompetentem Fachpersonal. Demokratie entsteht nicht von allein, sie muss gelernt werden. […] Unsere Kinder und Jugendlichen werden immer auffälliger, heißt es in den Medien. Ist es vielleicht ihre Möglichkeit, uns Erwachsene auf Missstände in der kindlichen Begleitung aufmerksam zu machen?“ (Leser:innen-Brief zum Artikel „Sparzwang: Kita-Träger in OWL kürzen Besetzung“ NW, 7.5.2024, Nr. 106/19, 214. Jahrgang)
Den Gedanken aus dem Leser*innen-Brief, das pädagogische Handeln von Lehrpersonen genauer in den Blick zu nehmen, greifen wir in diesem Kapitel auf,
Folgende kompetenzorientierte Lernziele können Sie sich in diesem Kapitel erarbeiten: